25.04.2025

Taiwan Today

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Traditionsreiche Suche nach dem "Weg zur Wahrheit"

01.11.1988
Der taoistische Gott Kuang Kung reist in Begleitung seiner Anhänger auf der Insel.
Dr. Sun Yat-sen, Gründungsvater der Republik China, betrachtete Religion als einen der fünf essentiellen Bestandteile des menschlichen Lebens. Gerade in einem Vielvölkerstaat setzt die Gründung einer Nation nicht unbedingt ethnische Einheit, gewiß aber identische, übergeordnete spirituelle Leitmotive voraus. Ein altes chinesisches Sprichwort verdeutlicht dies ebenfalls: "Die wichtigsten Pflichten der Nation sind Opfer und Krieg". Hier meint Opfer Religion und Krieg bezieht sich auf nationale Verteidigung.

In der Chou-Dynastie verfügte der Meister Lao Tzu, dessen ursprünglicher Name Li Ehr war, über das zeitgenössische Wissen, wie es an der offiziellen Akademie gelehrt wurde. Er trat auch das geistige Erbe Huang Tis, des gelben Kaisers (2698-2598 B.C.) an. Lao Tzu verehrte die Natur und bearbeitete und kultivierte alle Objekte, die in Beziehung mit den Menschen standen. Ferner entwickelte er die Tugenden, die nötig sind, um mit dem Himmel eine Einheit zu bilden. Er engagierte sich für die Idee, daß der Weg die Essenz des Universums und der Ursprung aller Dinge ist.

Lao Tzus Glauben transzendiert das Weltliche, verteidigt die Tugend und lehnt Gewalt ab. Er wurde von seinen Anhängern auf die gleiche Ebene wie Huang Ti gestellt und ihre Glaubensanschauungen wurden als die Huang-Lao Theorien bekannt. Der Philosoph Chuang Chou (莊周) folgte ihren Lehren und erläuterte sie genauer. Schrittweise spaltete sich die taoistische Schule selbst in die Huang-Lao Sekte (黃老道) und die Fan-Hsien Sekte (方仙道). Die letztere hat die Erlangung der Unsterblichkeit zum Ziel.

Während der Östlichen Han-Dynastie (25-220 A.D.) vertiefte sich ein taoistischer Glaubensanhänger namens Chang Tao-ling (張道陵) auf dem Hu-Ming Berg in taoistische Theorien und Übungen. Chang errichtete Schreine und erstellte Hierarchien und Zeremonien, wobei er in vorgeschichtlicher Weise Berge und Natur anbetete. Doch damit nicht genug regulierte er die Ausbildung der Schüler, straffte die interne Organisation der Kirche und ermöglichte damit die Etablierung der Religion als eigenständige Konfession.

Es war erst als ein anderer Taoist, Chang Heng (張衡), der am Lung-Hu Berg in der Provinz Chianghsi predigte, daß sich die taoistische Religion südlich des Yang-Tzu Flußes auszubreiten begann. Zur gleichen Zeit wurde eine Tai-Ping Sekte unter der Führung Yü Chis (于吉) ebenfalls populär.

In der darauf folgenden Periode der Wei (220-264) und Chin (265-420) herrschte ein politisches Klima, geprägt von Gewalt und Verrat. Desillusioniert und depressiv, traten mehr und mehr Menschen zum Lao-Chuang Glauben über und der Taoismus wuchs langsam an Beliebtheit. Als Begleiterscheinung erschienen zahlreiche Traktate und Publikationen, die den taoistischen Glauben interpretieren.

Der Familienname der herrschenden Kaiser der Tang-Dynastie (618-906) war Li, der gleiche wie Lao Tzus ursprünglicher Familienname. Die Religion stand deshalb zum Teil in der Gunst der Kaiser. Man errichtete zahlreiche Schreine und Tempel und die Äbte der Klöster waren oft Regierungsbeamte. Viele Prinzessinnen wurden taoistische Nonnen und Gouverneure hielten Gottesdienste ab, ehe sie einen Regierungsposten annahmen. Der Herrscher Tang Hsüan-tsung (唐玄宗) erbaute das Ch'ung Hsüan Forschungszentrum, eine Stätte, in der die Traditionen des Taoismus studiert und gepflegt wurden. Die Regierung führte Prüfungen ein und sorgte für einen theologischen Doktorgrad. Die Prüfungstexte umfaßten die Schriften des Tao Te Ching (道德經) von Lao Tzu, das Nan Hua Ching (南華經) von Chuang Chou und Schriften von Wen Tzu (文子) und Lieh Tzu (列子).

In der darauffolgenden Sung-Dynastie (960-1276) gab es taoistische Schulen, die sowohl Frauen und Kindern als auch Männern geöffnet waren, jedoch in erster Linie Männer auf die taoistischen Prüfungen vorbereiteten. In diesen Tests wurden ebenfalls die verschiedenen taoistischen Schriften abgefragt.

Später, als die Mongolen China eroberten, suchten viele Menschen aus Nord und Süd in taoistischen Tempeln Schutz, um einer Hinrichtung durch die Invasoren zu entgehen. Fast jeder Chinese trug einen gelben Hut, das Zeichen der Taoisten. Amtsträger, die während der Sung-Dynastie gedient hatten, konnten sich entlasten, wenn sie in ein taoistisches Kloster flohen. Zivilisten, die Taoisten wurden, vermieden Steuern und andere Abgaben.

Feiertagsdekorationen erhalten so manche klassische handwerkliche Tradition, wie das Laternenmachen, am Leben.

Die roten Turbane, eine Seitensekte des Taoismus, unterstützte den Sturz der Yüan-Dynastie und beteiligte sich an der Etablierung der Ming-Dynastie (1368-1643). Der Gründer der Ming, Chu Yüan-chang (朱元璋) war sich bewußt, daß die Taoisten die Liebe zur Natur und den Glauben predigen, daß in einem sich wandelnden Universum nur Tugend leiten kann. Doch war er gleichermaßen auch über die wachsende Macht der Kirche besorgt. Er entschied, daß Zwangsmaßnahmen die Sekte nicht unter Kontrolle halten könnten. In Amt und Würden behauptete er den Taoisten anzugehören, beschränkte aber in Wirklichkeit die Aktivitäten des Taoismus auf religiöse Zeremonien, die in keiner Verbindung zur Staatsmacht standen. Diese Begrenzung der Kirche brachte einen wesentlichen Wandel.

Während der letzten chinesischen Dynastie, der Ching-Dynastie (1644-1911), erkannten die mandschurischen Fremdherrscher, daß Taoismus mit nationalistischen Ideen verknüpft war, und waren darum bestrebt die Kirche in den Niedergang zu zwingen. Wegen der mangelnden offiziellen Unterstützung lebte der Taoismus nur in den Volksmassen weiter, wo die Menschen noch immer ihren Ahnen und Göttern auf traditionelle Weise huldigten. Seine wirkliche Bedeutung wurde obskur, und einige Scharlatane gaben sich als taoistische Priester aus, um so die Gunst ahnungsloser Leute zu erwerben. Deshalb geriet die Religion in das massive Kreuzfeuer akademischer Kreise.

Taoismus ist eng mit der Geschichte der chinesischen Philosophie, den wandelnden politischen Weltanschauungen und dem Aufstieg und Fall der Dynastien verbunden. Seine Glaubensanschauung hat sich auf die Philosophie konzentriert, sein Kredo, wie es in den wichtigsten Schriften belegt wird, verficht Gehorsam gegenüber dem Himmel, Anbetung der Ahnen und Bewunderung der Natur. Taoisten glauben, daß der Mensch nur durch Ruhe zur Einheit und zum Selbst gelangen kann. Dadurch verinnerlicht man die Tugend des Himmels und erreicht das Ziel der Unsterblichkeit.

Taoistische Religion ist polytheistisch. Die obersten Götter heißen die drei Reinen (三清). Nächstfolgend im Rang sind die fünf Alten (五老), die vier Polarsterne (四極), der Jade Herrscher und die drei Himmelsbeamten (三官), die Großmutter Tou (斗姥) und die Königin Mutter (王母). Diese sind alle Götter von höchstem Rang. Die Gläubigen beten auch zu Sternen, Bergen, Erde und zu Heroen der Vergangenheit, wobei die Verehrung der Ahnen parallel neben der Anbetung der Götter besonders charakteristisch ist.

Durch die Jahrhunderte haben sich die Sekten des Taoismus verändert und vervielfacht. Heute kann man sie grob in fünf Konfessionen einteilen, die sich unterschiedlichen Zielen und Aufgaben widmen:
- Die Sekte Chi Shan (積善, gutes Handeln) fordert die Leute zu gutem Handeln auf und ihre Anhänger häufen gute Taten an, um die Unsterblichkeit zu erlangen.
- Dem Studium der Schriften wird in der Sekte Ching Tien (經典, Klassiker) besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
- Mönche der Sekte Fu Lu (符籙, Amulette und Talismane) zeichnen Diagramme und fertigen magische Gegenstände an, die es ermöglichen sollen, Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen.
- Die Jünger Chan Yens (占驗, Prognose) machen Prophezeihungen und interpretieren Mysterien.
- Die Konfession Tan Ting (丹鼎, Alchemie) ist damit beschäftigt, seltene Materialien herzustellen.

Der Großteil der taoistischen Schriften ist in einer schwer zu interpretierenden Sprache gehalten. Man klassifizierte sie wegen ihrer unterschiedlichen Funktionen in drei Gruppen: Die Philosophie der Meister, die Entschlüsselung der Mysterien und die theologischen Angelegenheiten. Die gegenwärtigen orthodoxen Schriften umfassen 5 485 Schriftrollen und sind eine wertvolle Quelle der chinesischen Kultur.

Tempel sind Tag und Nacht belebt. Die Anbetung der Götter ist, bis auf einige spezielle Feiertage die persönliche Angelegenheit der Gläubigen.

Doch ist Taoismus keineswegs nur eine intelektuelle Spielerei, sondern eine praktische, aktive Lebensphilosophie. Die Gläubigen sollten ihr Verlangen kontrollieren, um ihre innere Kraft zu vermehren und fasten, um Lebensenergie zu produzieren. Außerdem sollten sie auch ausreichend schlafen, um den Geist zu kultivieren und um das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erlangen. Die taoistische Religion erbte die alten Ideen des Taoismus und paßte sich ihnen an. Über die Jahrhunderte hinweg beeinflußte sie viele chinesische Bräuche.

Während der Tang-Dynastie reichte der Einfluß des Taoismus bis in andere asiatische Länder, die in dieser Zeit vom mächtigen China beherrscht wurden. Auch heute kann man dort noch immer taoistische Einflüsse finden.

Im Vergleich mit anderen Religionen hat der Taoismus die größte Anhängerschaft in Taiwan. Etliche Gläubige sind zudem noch in Übersee zu finden. Auf Taiwan gibt es mehr als 1 000 Tempel und diese Zahl wird durch die unzähligen Familienschreine noch vergrößert. Die Anzahl der taoistischen Gebäude übertrifft auch die anderer Glaubensgemeinschaften.

Auf dem Festland China wurden die taoistischen Bauten während der sogenannten großen Proletarischen Kulturrevolution fast gänzlich zerstört. In den letzten Jahren gab es einen beschränkten Wiederaufbau. Meiner Meinung nach wollte man damit der Welt nur glaubhaft machen, daß es so etwas wie eine religiöse Öffnung auf dem Festland gäbe. Keineswegs war man jedoch bestrebt, Treffpunkte für Gläubige zu schaffen. Tatsächlich gibt es keinen Vergleich zwischen dem Taoismus auf Taiwan und dem auf der anderen Seite der Meerenge.

Gegenwärtig plant die taoistische Kirche in Taiwan ein Kolleg zu errichten, um weitere Studien über Taoismus zu fördern und um dem weltweiten Interesse an diesem Forschungsfeld gerecht zu werden. Ferner will man nächstes Jahr in Taipei einen Internationalen Forschungskongreß über Taoismus abhalten. Viele Forscher sind eingeladen über die taoistischen Theorien zu diskutieren. Man hofft durch solche Aktivitäten die alte Religion in ihrer historischen Brillianz zu übertreffen. - (Herr Kao Chung-hsin ist Vorsitzender der chinesischen Taoistischen Vereinigung.)

(Deutsch von Markus Fürst)

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